- Bérénice Schneider

- 31. Aug. 2021
Unser Hund hat Zahnstein. Und zwar viel davon, sagt die Tierärztin. Aber vielleicht ist es doch gar nicht so wild. Uns kam der Zahnbelag nie besonders schlimm vor, aber was wissen wir schon. Allerdings meinte auch unsere Freundin - Mama von vier Tierschutzhunden - dass das Gebiss eigentlich gut aussehe…
Jedenfalls: Als ich im Juni zum Impfen bei der Tierärztin war, führte sie mal wieder einen Komplett-Check durch und schüttelte beim Blick ins Maul besorgt den Kopf. Das müsse dringend gemacht werden. Die Zähne seien in einem desolaten Zustand. Zum Glück könne sie selbst die Behandlung durchführen.
Wir sollten jedoch bis zum Herbst warten: Anders als der Mensch wird der Hund bei der Zahnreinigung voll narkotisiert, damit er still hält. Zudem kann man ihm schließlich nicht erklären, dass er jetzt die Schnauze aufsperren solle und das über eine nicht näher definierte Dauer. Jedenfalls stresse diese Vollnarkose den Körper des Tieres so sehr, dass man derlei besser in kühlerem Wetter durchführe. Erklärte die Tierärztin.
Also Herbst. „Gut“, meinte ich, „ich melde mich im September wegen eines Termins.“
Was das Ganze ungefähr kosten würde? Die Tierärztin zuckte mit den Schultern und ratterte Zahlen herunter. Ganz sicher könne sie manche Posten nicht benennen, das hinge sehr vom Aufwand ab. Aber bei DEM Zustand… den Halbsatz ließ sie in der Luft hängen und wandte sich der Impfung zu.
Hella muss im Herbst zur Zahnreinigung und es kostet irgendwas um die 200 Euro – oder mehr.
Derweil sortierte ich gedanklich die verschiedenen Ziffern, addierte den unausgesprochenen Rest und teilte später zuhause dem stolzen Hundepapa mit: „Hella muss im Herbst zur Zahnreinigung. Es kostet wohl irgendwas um die 200 Euro. Oder mehr.“
Wir akzeptierten das beide – schließlich gehen wir auch regelmäßig zum Zahnarzt; wir wissen, wie wichtig ein gesunder Kauapparat ist.
Beim nächsten Besuch des Zoofachhandels kaufte ich einen riesigen Straußenknochen, von Gewicht und Größe ein würdiger Partner unserer Hündin. Der Berater, Eigentümer eines Wolf-Mischlings, empfahl den Knochen zur Zahnreinigung. Sein Hund hätte perfekte Zähne, seit er einmal pro Woche so ein Teil bekäme.
Hella arbeitet sich seither an dem Straußenbein ab – vom wöchentlichen Konsum des Wolf-Mixes ist ihre Schlagzahl weit entfernt. Dennoch scheint sie begeistert von dem Stück Wildnis in ihrem Körbchen, macht sich immer wieder darüber her.
Letzte Woche verletzte sie sich dann am Auge. Es war Samstagnachmittag, unsere Tierärztin längst im Wochenende. Das Hündchen rieb sich die nächsten Stunden immer wieder mit der Pfote am Auge, wir konnten sie nicht davon abhalten. Es wurde rot und röter. Als es schließlich anschwoll und ich im Netz genügend Horror-Geschichten über Hornhautverletzungen am Auge und daraus resultierender Erblindung gelesen hatte, luden wir die Kleine ins Auto und fuhren in die Klinik.
Ihr Gebiss ist zum Neidischwerden. Da müssen Sie nichts unternehmen.
Als wir schließlich an der Reihe waren, untersuchte die Tierärztin Hella zunächst einmal gründlich, maß Fieber, kontrollierte den Puls – und sah sich die Zähne an. An dem Punkt meinte ich: „Ja, die müssen dringend gemacht werden, ich weiß. Das ist im Herbst geplant.“
Die Tierärztin sah mich überrascht an und ließ die Schnauze des Hundes los. „Aber warum denn? Ihr Gebiss ist zum Neidischwerden. Da müssen Sie nichts unternehmen.“ Ich stutzte. Hakte nach. Wieso muss ich nichts unternehmen? Sie wirkte ein wenig ungeduldig, so als müsse sie einem begriffsstutzigen Kind eins plus eins erklären, grifft nach dem Hundemaul, zog die Lefzen hoch und präsentierte mir größtenteils weiße, an manchen Stellen lediglich leicht vergilbte spitze Beißerchen. „Sehen Sie sich die an: perfekt. Für solche Zähne lege ich keinen Hund in die Narkose. Schon gar keinen drei Jahre alten.“
Dann versorgte sie das lädierte Auge und ließ mich diese neue Information verdauen.
Mich beschäftigte die Sache mit den Zähnen. Sie beschäftigt mich noch. Denn ich frage mich: Wollte unsere Tierärztin hier einfach ein wenig zusätzliches Geld verdienen, ohne Rücksicht auf das Risiko, das eine Vollnarkose für den Hund bedeutet? Oder waren die Zähne der Kleinen wirklich in einem schlechten Zustand, aber das Kauen auf dem noch immer zu Dreivierteln erhaltenen Straußenknochen hat tatsächlich gewirkt und den Zahnstein beseitigt? Dann verstehe ich aber nicht, warum unsere Tierärztin mir nicht einfach diesen kostengünstigen Tipp gab? Oder ist vielleicht die Ärztin aus der Tierklinik einfach nur toleranter, was Zahnstein angeht?
Wir wissen es nicht. Wir sind keine Tierärzte. Wir sehen unseren Hund an, lesen im Internet und reimen uns ein Halbwissen zusammen. Zur Not fragen wir unsere hundeerfahrene Freundin. Aber dem Rat des Experten können wir nichts entgegenstellen als unseren gesunden Menschenverstand.
Wir haben jetzt beschlossen, dem Rat der Klinik-Ärztin zu folgen. Und damit auch dem unserer Freundin. Und dem des Verkäufers in der Zoohandlung: Statt der großen Zahnreinigung gibt es jetzt regelmäßig große Knochen.
