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Das Weihnachtsgeschenk

  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 1. Jan. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Jan. 2023

Kurz vor Weihnachten schenkte mir eine Freundin einen Amethyst. Sie fand, er eigne sich gut für meinen Schreibtisch, weil er die Konzentration stärke. Außerdem habe sie ihn bei Instagram und Pinterest häufig auf Schreibtischen gesehen – ansprechend inszeniert auf achtsam platzierten Coffee-table-Büchern. Sie riet, ich solle noch eine kleine goldene Vase mit einem Rosenstrauß dazustellen. Das sähe besonders hübsch aus, wie sie gesehen hätte.

Ich fragte ironisch: „Rote oder weiße Rosen?“, was sie verwirrte. Ich erklärte, dass sich Rot und Lila in meinen Augen beißen würden, ich müsste also weiße besorgen oder gleich rosé- oder lilagetönte, das passe farblich am besten.

Sie ist um einiges jünger als ich und ihre Konzentrationsfähigkeit generationsbedingt nicht mehr ausreichend für eine monothematische Unterhaltung über mehr als drei Sätze.

Wie ich merkte, hatte sie allerdings inzwischen den gedanklichen Anschluss verpasst; sie ist um einiges jünger als ich und ihre Konzentrationsfähigkeit generationsbedingt nicht mehr ausreichend für eine monothematische Unterhaltung über mehr als drei Sätze. Entsprechend erwiderte sie zerstreut: „Auf den Fotos sieht es immer so schick aus.“

Ich legte den Amethyst auf einen Stapel Manuskriptseiten und vergaß ihn für die kommenden Tage. Als wir kurz vor dem Jahreswechsel für eine Nacht nach Stuttgart kamen und ich die Manuskriptseiten für die weitere Bearbeitung in meine Tasche legen wollte, holperte mir sozusagen der Stein entgegen - direkt in meine Aufmerksamkeit. Von dem Moment an entdeckte ich das Zeug einfach überall. Mir wurde klar: Das Geschenk war einem Trend gefolgt.

Nun ist es nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben mit Halbedelsteinen in Berührung gekommen wäre. Ich kenne sie natürlich als Schmuck; aber ich erinnere mich auch sehr gut an meine Kindheit, als meine Mutter und alle ihre Freundinnen in ihren Häusern Glasgefäße mit Achaten, Saphiren und Mondsteinen stilvoll auf Beistelltischchen, Konsolen und, ja, Schreibtischen arrangierten. Bei meiner Schwiegermutter entdeckte ich kürzlich auch noch ein paar von diesen Gläsern, vergessen, ganz hinten in einem Kellerschrank. Bei den besonders Trendbewussten verschwanden die Dinger schon recht bald wieder von der Bildfläche – Halbedelsteine waren offenbar aus der Mode gekommen.

Und nun sind sie also wieder da. Soll ich mich freuen, weil ich ohne großen finanziellen Aufwand (ich müsste bloß meine Schwiegermutter um ihre bitten) auf Höhe der Zeit sein könnte? Ein Anfang wäre schließlich mit jenem Weihnachts-Amethyst bereits gemacht.

Die Sache ist bloß die: Ich reagiere allergisch auf Hypes. Wenn irgendetwas plötzlich überall auftaucht, lehne ich es schon aus Prinzip ab. Selbst wenn es mir ursprünglich gefiel, wie etwa die Midcentury-Musikbox meiner Großeltern, die seit meinen Studententagen Teil meiner wechselnden Wohnzimmer war. Kaum dass alle Welt Nierentischchen und Eames-Chairs anschleppte, wanderte besagtes Möbel in unseren Keller. Ich heiße schließlich nicht Hinz oder Kunz.

Die Reaktion mag elitär erscheinen, aber für mich ist das Herrennen hinter Trends ein Ausdruck von Hilflosigkeit - wer keine eigenen Ideen hat, braucht jemanden, der ihm sagt, was er machen soll. Ich bin stolz darauf, dass ich keinen Vorbeter benötige, um durchs Leben zu kommen.

Dabei ist mir völlig klar, dass auch ich nicht frei von den Einflüssen der Mode bin; völlig entziehen kann sich vermutlich kaum jemand und es verlangt viel Aufmerksamkeit, um jede subtile Beeinflussung vom Massengeschmack wahrzunehmen. Was ich aber weder verstehe noch schätze, ist dieses manische Immer-den-letzten-Schrei-nachmachen.

Zumal diese Schreie immer kürzer werden, sozusagen. In anderen Worten: Die Abstände, in denen sich eine Mode wiederholt, folgen immer schneller aufeinander. Es vergingen gut 1500 Jahre von der Antike bis zur Renaissance, die Aspekte der griechischen und römischen Kultur wieder aufgriff – jedoch nicht kopierte. Von der Gotik zur Neogotik waren es schon keine 700 Jahre mehr. Hier orientierte man sich bereits deutlich stärker an der Formensprache des Originals. Das Wiederaufleben des Midcentury-Stils dauerte schon nur mehr ein halbes Jahrhundert. Es handelt sich nicht mehr um eine Neuinterpretation, sondern ums Wiederverwenden der alten Teile.

In der Mode geht der Wandel logischerweise noch viel schneller – mein Mann lachte vor einigen Monaten über den vorherrschenden Kleidungsstil mit hochwässrigen Karottenhosen und Schulterpolstern und sagte, er fühle sich so in seine Kindheit zurückversetzt. Ich lachte auch, aber eher über ihn.

Dann standen wir eines Tages an einer Ampel und ich beobachtete durchs Autofenster ein junges Mädchen, vielleicht zwölf oder 13 Jahre alt. Sie trug klobige Plateau-Turnschuhe, extraweite Schlaghosen und ein Oberteil, das knapp unter den noch kaum vorhandenen Brüsten aufhörte. Sie sah aus wie ich mit zwölf oder dreizehn. Nur waren meine Schlaghosen damals bereits alt – sie hatten in den 70er Jahren meiner Mutter gehört und auf verschlungenen Wegen die Jahrzehnte überdauert. Wir kopierten nämlich schon einen vergangenen Stil, befanden uns sozusagen im Neo-Hippiezismus und wussten es. Die polyesternen Glanz-Hosen dieser Ampel-Wiedergängerin der jungen Bérénice, rund 15 Jahre später, waren mutmaßlich neu.

Die Designer von heute entwerfen anscheinend nichts Eigenes mehr, sie greifen in die Schublade mit dem Titel „Von vor zehn Jahren“, recyceln das Material und verkaufen es als brandneu.

Die Designer von heute entwerfen anscheinend nichts Eigenes mehr, sie greifen einfach in die Schublade mit dem Titel „Von vor zehn Jahren“, recyceln das Material und verkaufen es als brandneu. Die Älteren schmunzeln vielleicht und ärgern sich, dass sie ihre alten Sachen nicht aufbewahrt haben, um sie nun wieder anzuziehen. Die Jüngeren feiern den ach-so-coolen Stil und laufen (völlig unbewusst) wie ihre doch so völlig uncoolen Mütter herum.

Das erklärt auch, dass meine junge Freundin nicht wusste, dass sie mit ihrem schicken Amethysten ziemlich altmodisch auf mich wirkte. Wie sollte sie es auch ahnen – meine Kindheit hatte sie bewusst noch nicht erlebt.

Ihr Geschenk hat mich nun allerdings auf eine Idee gebracht. Ich werde Schwiegermutter um ihre Halbedelsteine im Glasgefäß bitten, meinen Amethysten dazu legen und alles verstauen. Für - sagen wir - etwa fünf Jahre, denn das Mode-Rad dreht sich ja immer schneller. Dann hole ich sie wieder hervor, dekoriere damit meine Schreibtisch und verkaufe sie als den ganz neuen, ganz heißen Trend. Es funktioniert mit Sicherheit.

 
 
 

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