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Deutschrap zur Begrüßung

  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 1. Feb. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Jan. 2023

Gestern Abend kamen wir wieder in unsere Stuttgarter Wohnung. Es war die Rückkehr aus dem Paradies: vom Land mit seiner herrlichen Stille und nachts völligen Schwärze. Unsere Nachbarn zwar in Rufweite aber nicht Wand an Wand. Perfekt.

Und ich wollte direkt wieder dorthin zurück, als ich die Haustür aufschloss – denn im Hausflur schallte mir, ohrenbetäubend, Deutschrap entgegen. Auf meinem Weg in den zweiten Stock nahm der Lärm zu, vor der Tür unserer neu eingezogenen Nachbarn in der ersten Etage (schräg unter uns), kulminierte er.

Ich klingelte spontan bei den Nachbarn. Und klingelte. Und klingelte. Und klingelte ein drittes Mal, jetzt langanhaltend. Dazu klopfte ich.

Seufzend trug ich das Gepäck in die Wohnung und ging wieder treppab, um die Post aus dem Briefkasten zu holen. Durch das Flurfenster sah ich meinen Mann das Auto parken. Spontan klingelte ich bei den Nachbarn. Und klingelte noch mal. Und klingelte ein drittes Mal, jetzt langanhaltend. Dazu klopfte ich.

Anscheinend fiel den Nachbarn das Klopfen auf – vermutlich da es sich nicht in den Rhythmus des Drumcomputer-Dröhnens einfügte. Jedenfalls verstummte die Musik und ich nahm hinter der Tür Kruschteln wahr. Dann das Klacken des Schlüssels im Schloss. Schließlich, unten hörte ich bereits meinen Mann die Haustür aufschließen, tauchte unser Nachbar in seiner Türe auf. Er wirkte irritiert. „Ja?“

Möglichst freundlich erwiderte ich: „Hi. Ich finde eure Mukke wirklich total cool (nicht!). Aber noch cooler fände ich, wenn sie mich nicht unten an der Haustür empfängt, wenn ich gerade nach Hause komme.“

Er starrte mich kurz an und äußerte: „Echt? Ja klar, sorry. Darf ich fragen, wo du wohnst? Nebenan?“ Er deutete über den Gang auf die Wohnung der älteren russischen Dame direkt unter der unseren. „Nein, dort.“ Ich zeigte die Treppe hinauf. „Das tut aber nichts zur Sache. Eure Musik ist einfach zu laut.“

„Hm. Wo hast du sie denn gehört? Als du –„ hier zwinkerte er verschwörerisch, „gerade hier an der Tür vorbeigekommen bist?“

„Nein,“ jetzt sprach ich wie mit einem Kind, aber ich konnte nicht anders. Mir schien seine Unverfrorenheit dermaßen infantil, dass ich sozusagen automatisch in diesen Modus wechselte. „Nein, ich hörte eure Musik als ich unten die Haustür aufschloss bereits in Clublautstärke. Ohrenbetäubend wurde sie dann hier vor deiner Tür und immer noch sehr gut zu verstehen war sie in unserem Schlafzimmer, das an die Wohnung im Nachbaraufgang anschließt. Also ziemlich weit weg von deiner Tür.“

Nun wirkte er leicht überrascht, allerdings nicht besonders reuig. Ich konnte ihn nur bewundern. Als meine Nachbarin in Hamburg, damals studierte ich im ersten Semester, das Haus war viel kleiner und die Dame bedeutend älter als ich heute, als diese Dame mich einmal im Flur stellte und auf meine laute Musik hinwies, war mir die ganze Szene derart peinlich, dass ich in Tränen ausbrach. Und dabei hatte sie nur gesagt, dass sie meine Musik durch die angrenzende Wand hören würde. Nix mit Clublautstärke und so.

Ich beäugte meinen Nachbarn unwillig. Er kratze sich am Kopf und brummte: „Oh. Na, das wusste ich nicht. Sorry. Ich mach sie leiser, ok?“

„Viel leiser, ja, bitte.“ Dann bedankte ich mich und wünschte noch einen schönen Abend. Kopfschüttend erwartete ich meinen Mann, den ich nun die Treppen heraufkommen hörte. Auch er schüttelte den Kopf.

Wir hatten eben zu Abend gegessen und saßen nun lesend im Wohnzimmer, als erneut rhythmisches Bum-Bum-Bum durch die Wände tönte. Ich versuchte es zu ignorieren und mich auf mein Buch zu konzentrieren. Neben mir raschelte die Zeitung beängstigend. Ein sicheres Zeichen für zunehmende Wut beim Mann. Ich tat, als merke ich nichts. Schließlich ließ er die Zeitung sinken und zischte: „Wie blöd ist dieser Bursche eigentlich?“

„Mach halt auch Musik an, dann hören wir seine nicht mehr.“ Ich bin ganz ehrlich: Die Rolle des Blockwarts gefällt mir nicht sonderlich. Ich lebe gern in Frieden und meide Auseinandersetzungen wo es geht. Auch glaube ich nicht, dass es meine Aufgabe ist, meine Nachbarn zu erziehen. Ich möchte einfach meine Ruhe haben, so wie ich anderen die ihre lasse.

Bloß funktioniert diese gegenseitige Rücksichtnahme in diesem Haus nicht – sie ist sehr eindimensional.

Mein Mann wird von weniger Skrupeln geplagt: Statt zur Hifi-Anlage ging er zur Tür. Kurz darauf hörte ich ihn im Hausflur reden. Sehr lange reden, sehr wohlartikuliert und sehr eindringlich. Ein Zeichen, dass er stocksauer war. Von unserem Nachbarn hörte ich bloß hin und wieder Murmeln.

Als mein Mann wieder hereinkam, fragte ich: „Und? Hast du ihm Nachhilfe in Knigge ereilt?“

„Nein. Ich habe für ihn eine Physikstunde gehalten und erklärt, wie das mit Schall und tiefen Frequenzen so funktioniert. Und gesagt, dass er entweder jetzt die Bässe aus seiner Anlage rausdreht, was er wahrscheinlich bei Spotify und seinem Handy gar nicht kann, oder seine verdammte Musik so leise macht, dass ich sie auch vor seiner Wohnungstür nicht höre. Das, sagte ich, bedeute nämlich Zimmerlautstärke.“

Ich grinste. „Und? Hat er es verstanden?“

Dann kam unsere Nachbarin nach Hause. Statt Deutschrap lauschten wir dem Sound des Smoothie-Makers. „Oh Gott, ich will nach Hause“, stöhnte mein Mann.

„Keine Ahnung, er machte jedenfalls nicht den Eindruck. Aber als er die Musik anschließend wieder anstellte, war sie tatsächlich nur noch ganz leise im Flur zu hören.“

Der Mann nahm seine Zeitung wieder auf und las eine Weile. Dann kam unsere Nachbarin aus dem Stockwerk über uns von der Arbeit nach Hause. Statt Deutschrap lauschten wir nun dem Sound eines Smoothie-Makers. „Oh Gott, ich will einfach wieder nach Hause“, stöhnte mein Mann und faltete die Zeitung zusammen. Auch ich klappte mein Buch zu.

Als wir im Bett lagen und unsere Nachbarin über uns den Staubsauger herausholte, meinte ich: „Viellicht lässt sich ja mein Termin übermorgen auf morgen vorverlegen. Dann könnten wir morgen wieder abfahren…“

 
 
 

2 Kommentare


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01. Apr. 2022

Dankeschön für das Lob - es ist sehr leicht, bei diesen Nachbarn plastisch zu schildern 😅 Kennst Du das Problem auch?

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iperez
iperez
03. Feb. 2022

Danke für Deine Schilderung der Beschallung im Treppenhaus. Du hast es sehr plastisch geschildert, da ist man direkt dabei. 👏👍

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