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Neues Deutsch

  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 1. März 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Jan. 2023

Kürzlich sah ich seit langem wieder einmal den Film „10 Dinge, die ich an dir hasse“ mit Heath Ledger und Julia Stiles. Es ist ein Jugendfilm aus dem Jahr 1999 und eine der unzähligen Interpretationen der Shakespeare-Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“. Keine große Kunst – aber ich liebte ihn als Heranwachsende und amüsierte mich auch jetzt wieder.

Hängen blieb ich gedanklich bei einer Szene mit Katharinas kleiner und etwas dummer Schwester Bianca. Deren Freundin Chastity, noch um einiges dümmer als Bianca, fragt: „Also, man kann überwältigt sein, man kann unterwältigt sein, aber kann man auch bloß wältigt sein?“

Damals, als ich den Film zum ersten Mal sah, fand ich es unglaublich komisch.

Menschen, die es besser wissen müssten, benutzen einen inhaltsleeren Wortstummel, bei dem eine hohle Nuss das Gefühl gehabt hätte, dass was fehlt.

Neulich nun konnte ich nicht mal mehr müde lächeln: Ich hatte gerade erst wieder einen Zeitungsartikel gelesen, in dem eine „wertige Materialanmutung“ gelobt wurde. Menschen, die es besser wissen müssten, die ihr Geld mit Sprache verdienen, finden es inzwischen völlig angemessen, einen inhaltsleeren Wortstummel zu benutzen, bei dem möglicherweise sogar unsere geistig schlichte Highschool-Tussi das Gefühl gehabt hätte, dass da noch etwas fehlt. Und mit ihnen, mit den professionellen Schreibern, verwendet es die breite Masse.

Man wird sagen, dass sich Sprache eben weiterentwickle, dass geil auch nicht mehr das gleiche bedeutet wie vor fünfzig Jahren. Das stimmt selbstverständlich.

Ebenso selbstverständlich ist, dass eine solche Veränderung zum Teil auch von uns, den Schreibern ausgeht – es ist unsere Aufgabe und unser Privileg, Worte in einen neuen Kontext zu setzen, alte zu verdrehen und mit neuem Sinn zu füllen. Ich tue es selbst.

Und vielleicht gilt das auch hier, vielleicht hat die Deutsch sprechende Menschheit, oder jedenfalls ein großer Teil von ihr, beschlossen, wertig als Synonym für hochwertig anzusehen. Immerhin passt es sich damit dem Substantiv Wert an, der allerdings völlig neutral daherkommt, erst im Guten wie im Schlechten gefüllt werden will. Möglicherweise wächst bald eine Generation heran, die weder hoch- noch minderwertig kennt, sondern sagt: „Die Jacke hier ist wertig und die dort scheiße.“ Das klingt seltsam für mich. Aber ich werde mich daran gewöhnen.

Schließlich habe ich mich allmählich auch an das Lieblingswort der vergangenen Monate gewöhnt, an boostern.

Bis heute wundere ich mich über diese Wortschöpfung. Es klingt wie ein Anglizismus und ist es doch nur teilweise. Die Booster-Impfung, die booster vaccination, ist dem englischen entlehnt – und dann scheint der Erfinder des Boosterns beschlossen zu haben, dass die Deutschen zu blöd sind, um boosten als Verb zur Impfung zu verstehen. Also nahm er das englische Substantiv der Booster-Impfung, den Booster, und hängte ein N hinten dran, weil Verben schließlich so enden. Ein Booster boostet und was dabei passiert, ist ein Boost. Mehr Buchstaben braucht es nicht, es sind bereits genug korrekte an Ort und Stelle.

Wir lassen uns schließlich auch nicht auf Corona testern!

Ja, genau, testern. Kommen wir zu den Testungen. Auch so ein absurdes, schlicht falsches Wort, aber sehr beliebt bei Wissenschaftlern. Vor wenigen Jahren wurde es Journalisten in der Ausbildung noch ausgetrieben – was heute viele jedoch vergessen zu haben scheinen, da sie es, beseelt von neugewonnenem Vertrauen in die Wissenschaft, völlig selbstverständlich schreiben.

Aber vermutlich handelt es sich auch hier um die Evolution der Sprache. Wir müssen bloß lernen, mitzugehen.

Die unguten und gendergerechten Wörter schaffen in unseren Hirnen neue Verknüpfungen. Manchmal komme ich nicht mit, freue mich aber, etwas für meinen Geist zu tun.

Neuerdings lernen wir ohnehin sehr viel in unserer Sprache. All die unguten Wörter und gendergerechten Formulierungen sorgen in unseren Hirnen für immer neue Verknüpfungen. Manchmal fällt es mir schwer, mitzuhalten, aber ich freue mich immer wieder, etwas für meinen Geist tun zu können.

Und auch hier bietet sich zum Glück ein breites Betätigungsfeld für die schreibende Zunft: Immerhin gilt es regelmäßig, ein neu entdecktes aneignendes oder diskriminierendes oder sexistisches Wort zu woke-isieren. Besonders begeistert bin ich etwa immer noch von dem Newsletter einer Chefredakteurin, in dem sie von „Politik*innen“ schrieb. Das nenne ich weit gedacht und ganz im Sinne der Zeit gehandelt: Die Politik, bereits weiblich, als Basis für die Berufsbezeichnung, die nun nur noch Unentschlossene und menstruierende Menschen einbezieht. Nieder mit dem ganzen Männerpack! Perfekt.

Das inspiriert mich zu einer eigenen Idee: Wir sollten künftig nämlich mehr über die Gleichbepflichtigung von mit Penis geborenen nachdenken. Sollten sie sich noch nicht dem allgemeinen Trend angeschlossen haben, ihr tatsächliches Geschlecht zu verleugnen und mit einer ähnlich rückständigen Frau ein Kind gezeugt haben, sollten sie wenigstens die Hälfte der Schwangerschafts- und Geburtsqualen (eigentlich aber doch die ganzen) übernehmen. So sieht schließlich wahre Gleichberechtigung und -bepflichtigung aus: Die Mutter hatte den ganzen Spaß beim Sex und der Vater die darauf folgenden Leiden. Da Männer als Väter außerdem häufig Fett ansetzen, teilen sie sich künftig auch die ruinierte Figur.

Und Chastity aus der Shakespeare-Interpretation würde sagen: „Also, es gibert ja gar keine Männer*innen und Fraupersonen. Aber wenn mir einer nicht glaubert, kann man den zur Untersucherung schickern und so beweisern, dass ich Rechtung habe.“

Daran, davon bin ich überzeugt, könnte ich mich sofort gewöhnen – und fände es auch endlich wieder unendlich komisch.

 
 
 

2 Kommentare


maerchenoase
01. Apr. 2022

Ich mag den Schreibstil. Sehr.

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02. Apr. 2022
Antwort an

Danke dir, das freut mich sehr 😊

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