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Von zimmerlaut zu immerlaut

  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 31. März 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Jan. 2023

Gerade sitze ich am Schreibtisch in der Stadtwohnung und will einen neuen Text schreiben. Das Fenster vom Arbeitszimmer ist gekippt, ich mag frische Luft, sie hilft mir beim Denken. Unsere direkten Nachbarn scheinen unterwegs zu sein, jedenfalls höre ich nichts. Und auch das übliche Geräuschkonzert der Großstadt hat gerade Pause. Göttliche Ruhe. Ich nehme einen Schluck Tee und konzentriere mich auf meinen Text.

Da zerreisst quäkender Sprechgesang die Stille. Er kommt von der Straße und beständig näher. Jetzt stoppt das Vorsichhingeblabber – Rap mag ich es einfach nicht nennen, sonst würde ich viele Künstler von NWA bis Eminem beleidigen. Statt vertrackter Lyrik höre ich Autotune-verzerrtes Gejaule. Ich fange eine Zeile auf: „Meine Narben sind tief, darum schlafe ich nie“ und denke schmunzelnd: Junge, wie tiefsinnig.

Kurz bin ich verwirrt. Wo kommt die Musik her? Da sehe ich, dass der Mann etwas in der Hand hält: einen Bluetooth-Lautsprecher.

Inzwischen bin ich aufgestanden und ans Fenster getreten. Mich interessiert, wo der Lärm herkommt, denn ich habe kein Auto die Straße heraufbrummen gehört. Vielleicht ein Elektroauto?

Nein. Unten geht nur ein einzelner Mann auf dem Gehweg. Kurz bin ich verwirrt. Wo kommt dann die Musik her? Da sehe ich, dass er etwas in der Hand hält: einen Bluetooth-Lautsprecher.

Sie sind mir in der Innenstadt schon häufiger aufgefallen und ich habe mich jedes Mal gefragt, was die Leute, die sie in der Öffentlichkeit benutzen, sich dabei denken. Ich meine: Wie kann es jemand richtig finden, seine Umgebung mit seiner Musik zu beschallen? Es ist doch in der Stadt schon laut genug mit den Gesprächen der vielen Menschen, den Autos, Baumaschinen, Martinshörnern und Hubschraubern. Muss ich den Pegel erhöhen, indem ich Samra und Bojan oder Shirin David statt über Kopfhörer über Boxen in voller Lautstärke höre?

Was wäre eigentlich, wenn mein Nebenmann dazu den neuen Rammstein-Song spielte? Ich könnte noch die letzte Kataklysm herauskramen und damit alles übertönen. Wobei: In dieser Kakophonie könnte kein einziger von uns seine Musik wirklich genießen – abgesehen davon, dass außer mir vergleichsweise wenige Death Metal als Musik betrachten. Jedenfalls deutlich weniger, als inzwischen Deutschrap feiern.

Leute mit Bluetooth-Boxen können diese also nur nutzen, solange sie in der Minderheit sind. Am besten der einzige Laute unter vielen Leisen. Dabei ist es ihnen anscheinend gleichgültig, ob ihre Mitmenschen auch toll finden, was ihnen da vorgesetzt wird. Oder ob ihnen das Autotune-Gejaule einfach nur mächtig auf den Geist geht. Was bedeuten würde, dass neuerdings eine ganze Menge asozialer Egoisten heranwächst.

Anscheinend ist diese unsägliche Straßen-Beschallung im Mainstream angekommen und Menschen, die gelernt haben, Rücksicht zu nehmen, verwenden sie ganz selbstverständlich.

Jetzt, hier am Fenster meines Arbeitszimmers, denke ich wieder darüber nach. Als ich es endlich schließe, ist der Mann knapp unter mir angekommen. Vielleicht schreckt ihn das Geräusch des klappenden Fensters auf, jedenfalls sieht er zu mir hoch – ich blicke in ein mittelaltes Gesicht. Überrascht starre ich ihm hinterher, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet. Mich verwirrt, dass es offenbar nicht mehr ausschließlich Jugendliche sind, die ihre Umwelt belärmen. Anscheinend ist diese unsägliche Straßen-Beschallung im Mainstream angekommen und selbst Menschen, die noch gelernt haben sollten, auf andere Rücksicht zu nehmen, verwenden sie ganz selbstverständlich.

Grübelnd kehre ich an meinen Schreibtisch zurück; die Konzentration für meinen Text ist dahin. Stattdessen sinniere ich weiter über die Boxen, den nichtmehrjungen Mann und das Thema Rücksichtnahme.

Ich erinnere mich, dass auch ich in einer Phase meines Lebens – ich hatte frisch den Führerschein und durfte in Mutters Wagen hin und wieder zur Schule fahren – das Radio im Passat laut aufdrehte. Was meine Umgebung an Iced Earth oder Metallica teilhaben ließ. Bis ich eines Tages vergaß, die Lautstärke zurückzuregeln und die CD rauszunehmen, ehe ich den VW wieder meiner Mutter übergab. Das gab nach ihrer nächsten Fahrt ein Donnerwetter!

Mutters Ansage war kurz und bündig und ich erinnere mich an jedes Wort davon: „Wenn du dich nicht wie ein zivilisierter Mensch verhalten kannst, der Rücksicht auf seine Umgebung nimmt, fährst du künftig wieder mit dem Bus.“

Das war eindeutig und ich hatte meine Lektion gelernt.

Auch wenn ich Mutter damals doof und spießig fand, wusste ich nun, dass mein Musikgeschmack und die damit verbundene Lautstärke meine ganz persönliche Angelegenheit war und so wie man Ehekrisen in aller Stille regelt, auch die private Beschallung nicht die eigenen vier Wände zu verlassen hat.

Doch während man mir damals den Passat abnahm, um der Erziehungsmaßnahme Nachdruck zu verleihen, scheint es heute nicht einmal mehr den Wunsch nach einer entsprechenden Ahndung zu geben. Wie gern wäre ich da noch einmal Kind.

 
 
 

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