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  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 1. Dez. 2021

Wir sind zur Zeit wieder auf dem Land. Ich sitze gerade im Wohnzimmer, im Ofen knistert das Holz und die Kerzenflammen zittern ein wenig im Luftzug; neben mir schmelzen Marshmellows in der heißen Schokolade. Wenn ich aufsehe, blicke ich auf unseren Christbaum.

Moment, wir haben Mitte Dezember und wir haben schon den Baum geschmückt? Ja, längst. Ich habe die Tradition übernommen, als ich in England lebte. Dort steht der Weihnachtsbaum den ganzen Dezember lang – die Briten kennen dafür keinen Adventskranz. Ich fand es sinnvoll: Schließlich ist es doch schade, eine wunderschön gewachsene Tanne irgendwann Mitte bis Ende November zu schlagen, sie dann wochenlang draußen herumstehen zu lassen, nur um sie schließlich für zwei Wochen in unseren Wohnzimmern aufzustellen. Schade um den schönen Baum, dachte ich und mache mich darum jedes Jahr zum ersten Advent auf die Suche nach unserem perfekten Weihnachtsbaum.

Aber hier liegt für mich inzwischen die Schwierigkeit. Den perfekten Baum finde ich einfach nicht mehr. Ich schreibe „nicht mehr“ und versuche mich an die Weihnachtsbäume meiner Kindheit zu erinnern. Sie waren groß, die Zweige – nach unten hin immer dicker und länger – wuchsen in gleichmäßigen Abständen aus dem geraden Stamm. Stolz trugen sie rote Glaskugeln, vergoldete Nüsse und glitzernde Eiskristalle aus farblosem Glas. So habe ich sie in Erinnerung.

Doch wenn ich mich an meinen diesjährigen Ausflug am Samstag vor dem ersten Advent erinnere, zweifle ich ein wenig an der Echtheit dieser Bäume.

Wir zogen einen Baum nach dem nächsten aus dem Pulk – beim einen bog sich die Spitze nach rechts, beim nächsten entdeckte der Mann eine kahle Stelle im Bauchbereich.

Der Samstag begann, indem Mann, Hund und ich, zunächst einmal (aus schlichter Neugierde und rein zu Recherche-Zwecken) auf dem Weg zur Baumschule im Nachbarort am örtlichen Baummarkt hielten. Davor hatten sie Reihen an Reihen mit Nordmann-Tannen aufgebaut. Zu dritt wanderten wir die Bäume ab, zogen mal diesen, mal jenen aus dem Pulk und drehten ihn um seine eigene Achse. Beim einen bog sich die Spitze nach rechts, beim nächsten entdeckte der Mann eine kahle Stelle im Bauchbereich. Das Hündchen, bereits jetzt gelangweilt, wanderte fröstelnd Richtung Ausgang, wo sie sich einer fremden Dame anschloss.

Als wir eben gehen wollten, entdeckte der Mann eine kleine, vielleicht hüfthohe Blaufichte im Topf. Ihr Wuchs: gerade und ebenmäßig. Ihre Nadeln: pieksig. Bis auf die Stacheln gefiel sie uns sehr gut. Aber wir wollten hier ja gar nichts kaufen.

In der Baumschule im Nachbarort präsentierte die Mitarbeiterin geduldig eine Tanne nach der anderen. Große, kleine, mittlere… Auch hier entdeckten ich oder der inzwischen etwas grimmig dreinschauende Mann mal hier, mal dort Nachteile. Der Hund verkroch sich unter einem ausladenden Exemplar im Ständer und verweigerte den weiteren Gehorsam.

Schließlich, wir hatten jeden einzelnen Weihnachtsbaum abgelehnt, meinte die Verkäuferin müde, wir sollten zur Weihnachtsbaumschonung ein paar Ortschaften weiter fahren. Die hätten „wirklich immer ganz tolle Bäume. Aber erst ab dem zehnten Dezember.“ Ich schüttelte den Kopf. Der zehnte Dezember ist schließlich nicht der erste Advent.

Nach drei weiteren Stationen mit schiefen, krummen oder zweispitzigen Tannen blieb die Hündin einfach im Auto sitzen und der Mann sah nicht mehr nur ein wenig grimmig aus. „Können wir uns bitte dieses Mal für irgendeinen verdammten Baum entscheiden?“, knurrte er beim Aussteigen. Ich nickte nachgiebig, ich wollte es ja selbst.

Aber, was soll ich sagen – wir konnten es nicht. Ich hatte immer diese großen, wundervollen gold- und rotblitzenden Bäume meiner Kindheit im Kopf und kein einziger hier hielt da mit. Und auch der Grimmige schien sich für keinen dieser armen Kerle erwärmen zu können. Über dem letzten davon warf er mir einen Blick zu und brummte: „Also, der einzige, der mir halbwegs gut gefallen hat, war die kleine Fichte im Baumarkt.“

Ich seufzte. Es ging mir genauso.

Wieder im Baumarkt ging er also zielstrebig zu seinem Blaufichtchen, während ich noch einmal, relativ wahllos, eine der Nordmann-Tannen aus dem Stapel zog. Sie ist etwas kleiner als ich und recht schlank gewachsen. Einzelne Zweige ragten über die unteren hinaus, doch die könnte ich kürzen. Die Abstände zwischen den Ästen an sich wirkten luftig. Mit Schmuck darin, fiele das vielleicht gar nicht so sehr auf. Die Spitze selbst war gerade und lang gewachsen – ideal, um einen Stern darauf zu stecken.

Kurz warf ich einen Blick auf die kleine Blaufichte. Keine Frage: Sie war, mal von der Größe abgesehen, der um Längen schönere Baum. Aber, das war es eben: Sie war einfach sehr, sehr klein. Und natürlich sehr pieksig.

Noch einmal drehte ich die Nordmann-Tanne in meiner Hand, die eine Seite war schon wirklich sehr buschig. Aber wenn ich sie zur Wand drehen würde… und dann mit dem Schmuck… und zur Not der Astschere…

Auf der Heimfahrt schmollte ich ein wenig. Ich musste mich ja erst einmal an den Gedanken gewöhnen, wieder keinen perfekten Christbaum zu haben.

Ich bin ganz ehrlich: Ich redete sie mir schön. Ich mochte nicht mehr. Ich wollte nur noch irgendeinen Baum und dann nach Hause. Ich erkannte die Situation sofort – an diesem Punkt befinde ich mich nämlich jedes Jahr aufs Neue. Seufzend sagte ich: „Schau mal, was sagst du zu diesem hier? Geschmückt sieht er bestimmt ok aus…“

Auf der Heimfahrt schmollte ich dann ein wenig, musste mich ja erst einmal an den Gedanken gewöhnen, wieder einmal keinen perfekten Christbaum zu haben.

Nun sitze ich also hier im Wohnzimmer, betrachte den dekorierten Baum und trinke heiße Schokolade mit Marshmellows. Im Radio läuft die Nussknacker-Suite von Tschaikowsky. Die buschige Seite der Tanne habe ich etwas ausgelichtet und Richtung Wand gedreht und die besonders großen Lücken zwischen den Ästen mit größeren Kugeln und Anhängern kaschiert. Eigentlich, denke ich, sieht er doch ganz hübsch aus. Perfekt ist der Weihnachtsbaum jedoch wirklich nicht – aber daran sollte ich mich in all diesen Jahren der Verzweiflungsbaumkäufe eigentlich inzwischen gewöhnt haben…

 
 
 
  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 1. Nov. 2021

In der Stadt haben wir neue Nachbarn. Wir lernten sie kennen, als wir kürzlich mal wieder für einige Nächte in unserer Wohnung waren. Nach einem fröhlichen „Hallo!“ im Treppenhaus war mein erster Eindruck: nette Leute.

Sie zogen anscheinend gerade erst ein, es gab viel Getrapse, treppauf und treppab. Gelegentlich knallte irgendetwas gegen das Geländer, dann dongte es sekundenlang wie eine Kirchenglocke. Vor der Türe der neuen Nachbarn häuften sich Zellophantüten und Ikea-Kartons. Im ganzen Treppenhaus lag nasses Laub gemischt mit Pappfetzen.

Unten, bei den schwarzen Restmülltonnen, sah es nicht viel besser aus - aus einer ragten, weithin sichtbar, große Styroporplatten. Die Tonnen werden einmal wöchentlich geleert und wenn ich über die Jahre auch beobachtet habe, dass der Müll komischerweise zunahm, obwohl die Anzahl der Parteien im Haus gleichblieb, habe ich die Tonnen noch nie so früh so voll erlebt.

Kurz stand ich einfach still und staunte. Dann begann ich zu rechnen: Es war Montag und alle Tonnen bereits übervoll. Die Abfuhr kommt aber erst am Mittwoch. Für uns wäre das kein Problem, wir würden unseren wenigen Müll einfach kurz im Keller zwischenlagern. Ob unsere Nachbarschaft allerdings auf eine ähnliche Idee käme? Fraglich, weshalb ich mir gut vorstellen konnte, wie es am Mittwoch hier aussehen würde. Also holte ich einen gelben Sack aus dem Keller und verstaute das Styropor darin. Nun hatten wir wenigstens noch eine von vier Mülltonnen für das Haus zur Verfügung.

Auch die Papiertonnen waren inzwischen überfüllt – mit Ikea-Kartons. Was die Nachbarn nicht hatten unterbringen können, hatten sie einfach daneben gestapelt.

Als ich abends wieder nach Hause kam, war auch sie voll. Ein Nachbar aus dem Nebenaufgang kam gerade mit seinem Abfall, sah die vollen schwarzen Tonnen und entsorgte seine Last im Biomüll. Mein Blick fiel auf die blauen Papiertonnen. Auch sie waren inzwischen überfüllt – mit Ikea-Kartons. Nur notdürftig zusammengefaltet benötigte jeder einzelne beinahe eine ganze Tonne für sich. Was die Nachbarn nicht hatten unterbringen können, hatten sie einfach daneben gestapelt.

Ich erinnerte mich daran, wie ich damals selbst hier eingezogen war. Mein Vater und ich hatten meine Ikea-Küche aufgebaut und dann den ganzen Verpackungskram nach unten getragen. Wir hatten Ewigkeiten draußen gestanden und jedes einzelne Stück zerrissen. Was sich nicht zerreißen ließ, hatten wir möglichst klein gefaltet. Es war an sich viel Kartonage, die sich allerdings auf erstaunlich engen Raum entsorgen ließ.

So haben es seither auch viele der anderen gemacht. Zugegeben: Manche haben sich große Mühe gegeben, andere dagegen, nun, weniger. Aber zu diesen aktuellen Verheerungen war bislang noch keiner imstande gewesen.

Dieses Mal weigerte ich mich, Hilfsdienste zu leisten – es regnete und war kalt: Ich war müde und wollte einfach nur rein und mir ein Bad einlassen. Auf dem Weg zur Haustür sah ich unsere neuen Nachbarn durch die beleuchteten Küchenfenster fleißig Schränke aufbauen. Als ich meinen Mantel weghängte, schepperte und klopfte es nebenan.

Ich lag eben lesend in der Wanne, als mich eine Frage jäh aus der Geschichte riss. „Hast du die Mülltonnen gesehen? Was ist denn da passiert? Irgendjemand hat sogar in die Altkleidertonne Pappkartons reingestopft.“ Der Mann klang fassungslos. Ich legte das Buch zur Seite und betrachtete ihn fasziniert. „Was, ist NOCH MEHR dazu gekommen? Ich dachte, sie hätten inzwischen alles draußen…“

Ich sah, dass er mir nicht folgen konnte und erklärte: „Unsere neuen Nachbarn.“ Ich erzählte von meinen nachmittäglichen Erlebnissen. Kopfschüttelnd hörte er zu. Am Ende äußerte er etwas Obszönes und verließ das Badezimmer.

Unser bulgarischer Nachbar zerriss die Kartons in handliche Stücke und drückte sie in der Tonne nach unten. Dann äußerte er: "Haben die nix gelernt Farben? Tonne ist weiß. Nix Blau!"

Als ich am nächsten Morgen aus dem Haus trat, sah ich unseren bulgarischen Nachbarn vom Nebenaufgang bei den Mülltonnen hantieren. Er schien vor sich hin zu fluchen.

Er hörte wohl die Haustüre, jedenfalls blickte er sich um und wünschte mir grimmig einen guten Morgen. Ich antwortete und hielte, wie immer, für einen kurzen Plausch bei ihm an. Jetzt verstand ich, was ihn in Rage versetzte: Er hatte große Kartons aus einer der blauen Tonnen herausgeholt und zerriss sie in handliche Stücke. Er war schon gut vorangekommen. Nun deutete er auf das Chaos und knurrte: „Was ist das hier? Haben die nix gelernt, Papier klein zu machen?“ Er beugte sich in die blaue Tonne vor sich und drückte die zerkleinerten Stücke nach unten. Als er sich wieder aufrichtete, nickte er zur weißen Altkleidertonne rüber und äußerte: „Auch dort war Karton. Haben die nix gelernt Farben? Tonne ist Weiß. Nix Blau!“

Ich stimmte ihm kopfschüttelnd zu, wünschte ihm einen schönen Tag und ging. Als ich ins Auto stieg, dachte ich über den Saustall bei den Mülltonnen nach und kam zu dem Schluss: „Das mit dem Nettsein der Neuen hat sich irgendwie ziemlich schnell relativiert.“

 
 
 
  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 30. Sept. 2021

Letzten Sommer wollten wir einen Ausflug machen. Das Wetter war herrlich, die Sonne schien, die Vögel trillerten… Sie können es sich vorstellen: traumhaft. Es schien ein perfekter Tag, um den Ferrari mal wieder zu bewegen. Er ist einer von vier Wagen, die wir über den südlichen Teil der Republik verteilt haben und bei Gelegenheit herausholen und fahren.

Wir verließen also gut gelaunt das Haus; mein Partner ein wenig vor mir, wollte schon mal den Roten warmlaufen lassen. Der hatte ja einige Monate gestanden. Durch die geöffnete Haustür horchte ich nach dem Achtzylinder des 355 – hörte stattdessen nur Fluchen.

Als ich kurz darauf die Haustür abschließen wollte, bereit für unsere Ausfahrt, tauchte mein Liebster wieder auf. Er wirkte grantig. Zur Sicherheit flötete ich: „Ich komme sch-“, doch er unterbrach mich. „Musst du nicht. Der verdammte Karren springt nicht an. Batterie leer.“

Wir schaffen es aus diversen Gründen einfach nicht, an sämtliche Eventualitäten zu denken, damit alle Autos dauerhaft einsatzbereit sind.

Ehrlich gesagt: Ich war nicht übermäßig überrascht, nur enttäuscht. Es ist einfach so, dass wir es aus diversen Gründen nicht schaffen, an sämtliche Eventualitäten zu denken, damit alle Fahrzeuge dauerhaft einsatzbereit bleiben. Die Kosten spielen da nicht einmal eine Rolle, denn am Kundendienst wird keinesfalls gespart. Entsprechend ist übrigens der Ferrari auch – Binsenweisheit! – der mit Abstand teuerste Wagen in unserem Fuhrpark. Aber er ist als Kostbarkeit nicht so leicht und unproblematisch greifbar wie unser Laternenparker, der Mazda MX-5 (NA). Den hat uns ein Kollege in einer schwachen Minute überlassen und beklagt diesen Verlust bis heute.

Warum? Deshalb: Es gibt nur wenige Schätzchen, die selbst dann noch dankbar und unproblematisch sind, wenn sich ihr Eigentümer kaum um sie kümmert. Der MX-5 muckt nie, springt selbst nach winterlangen Standzeiten sofort an und bringt zudem ehrlich gesagt auf verschlungenen Waldsträßchen mehr Vergnügen als alles andere, was wir bislang im Fuhrpark hatten. Auch habe ich es noch nie erlebt, dass ich bei einem zufälligen Blick auf den rechten Vorderreifen kurz vor dem Einsteigen(-Wollen) feststelle, dass diesem Luft fehlt – zuviel Luft, um noch zur nächsten Tankstelle zu kommen. Diese Begebenheit verhinderte beispielsweise bei meinem Mercedes SLK einen Ausflug.

Beim Ferrari ist es besonders kompliziert, die Batterie zu tauschen: Zunächst montiert man das rechte Vorderrad ab, es folgt die Batterieabdeckung im Radkasten, dann erst der Akkumulator.

Übrigens war selbst beim Mazda irgendwann die Batterie leer. Kein Problem: Sie sitzt gut erreichbar im Kofferraum, lässt sich lösen, herausheben, Neue rein, anschließen, fertig – losfahren. Das kann sogar jemand ohne ausgeprägte praktische Fähigkeiten. Warum wir nicht einfach ähnlich tatkräftig die Batterie beim Ferrari getauscht haben, fragen Sie?

Hier kommt die Besonderheit einer besonderen Marke ins Spiel: Es ist nämlich besonders kompliziert, bei diesem Modell die Batterie zu tauschen. Dazu muss man zunächst das rechte Rad abmontieren, dann die Batterieabdeckung vorn im Radkasten abschrauben. Schon erreicht man den Akkumulator.

In einer Werkstatt keine Schwierigkeit, sondern lediglich lästig. In einer herkömmlichen Doppelgarage etwas komplexer. Denn rechts ist die Wand im Weg. Chassis hochbocken, breites Rad weg – das geht eher nicht. In dieser Konstellation beginnt die Aktion zunächst mit dem Herausschieben der Karosse. Hätte man ja noch machen können, hätte aber nix gebracht: Denn es war natürlich ein Sonntag und damit kein Shopping-Tag für Autozubehör.

Ein Freund von uns kennt so etwas nicht: Seine Autos sind alle und immer fahrbereit, jedes hängt an einem Batterie-Trainer. Er investiert viel Zeit in die regelmäßige Wartung. Also sehr viel Zeit. So viel Zeit, dass er keine mehr fürs Fahren hat. Sein Hobby ist das Autoschrauben – unseres aber eher das Autofahren.

 
 
 
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