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Orchester im Treppenhaus

  • Autorenbild: Bérénice Schneider
    Bérénice Schneider
  • 31. Mai 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Jan. 2023

Wir sind gerade wieder in Stuttgart, ich freue mich darüber. Solche Ausflüge nutze ich unter anderem, um mein urbanes Sozialleben wieder aufzunehmen. Ich treffe mich mit Freundinnen zum Stadtbummel und nötige den eher unwilligen Mann zu Dinner-Einladungen von Bekannten.

Gestern Nacht kamen wir von solch einer Verabredung. Die Uhr im Auto hatte 22:53 angezeigt, als der Mann einparkte, entsprechend leise stahlen wir uns ins Treppenhaus und die Stufen hinauf bis in den zweiten Stock. Alles war ruhig, unsere Nachbarn schliefen wohl längst oder waren vielleicht nicht zuhause. Auch die Burschenschaft auf der anderen Straßenseite tat keinen Mucks. Ich flüsterte: „Horch, ist das nicht himmlisch“ und der Mann antwortete: „Göttlich. So könnte es immer sein.“

Ich lag in der Dunkelheit, lauschte dem Pochen meines Herzens, dem Atmen meines Mannes und dem rhythmischen Gebumme meines Nachbarn. Irgendeines Nachbarn.

Wir lagen noch nicht lange im Bett, ich war eben eingeschlafen, da weckte mich ein diffuses „Bummmm-bummmm-bummmm…“ Der Mann seufzte und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Inzwischen völlig wach, lag ich in der Dunkelheit, lauschte dem Pochen meines Herzens, dem Atmen meines Mannes und dem rhythmischen Gebumme meines Nachbarn. Irgendeines Nachbarn sollte ich sagen, ich wusste natürlich nicht, wer der Urheber des Geräusches war.

Neben mir knurrte es: „Was treiben diese Leute denn jetzt schon wieder?“ Da ich es auch nicht wusste, ließ ich die Frage unbeantwortet und zuckte bloß mit den Schultern. Eine Weile starrten wir schweigend in die Nacht, nach wie vor völlig unklar über den Ursprung des „Bummmm-bummmm-bummmm…“, sowohl was den Verursacher als auch was den Lärm selbst anging.

„Irre machen einfach irre Geräusche“, brummte schließlich der Mann und die Decke raschelte, als er sich zurechtkuschelte. Auch ich knuffte mein Kissen in Position und schloss die Augen. Da fiel unten die Haustür krachend ins Schloss und hallte durch das Haus. Ich erschrak so sehr, dass ich auffuhr. Das Hündchen im Korb neben dem Bett knurrte. Jemand trampelte die Stufen hinauf und redete laut – mit sich selbst oder dem Telefon. Jedenfalls hörte ich bloß eine Stimme. Ich erkannte sie: Es war die Nachbarin aus dem dritten Stock. Die mit dem Smoothie-Maker. Meine Vermutung bestätigte sich, als über uns die Wohnungstür knallte. Wie immer klirrten dabei die Gläser in unserem Küchenschrank, ich hörte sie bis ins Schlafzimmer.

Zeitgleich heulte irgendwo ein Staubsauger auf. Der Mann fluchte, schlug die Decke zurück, entblößte damit auch meine Beine, die meist auf seiner Seite liegen, und stand auf. Auf meinen Protest achtete er überhaupt nicht.

Während ich die große Bettdecke wieder zurechtzupfte, mich völlig auf meine Matratze zurückzog und leise vor mich hinschimpfte – über die ausgekühlten Beine, die seltsamen Nachbarn, den rücksichtslosen Mann – knipste dieser das Licht an, zog seinen Morgenmantel über und setzte sich mit der Zeitung in den Sessel beim Fenster. Auch ich griff nach meinem Buch.

Ich hatte gerade das zweite Kapitel des Abends beendet, als der Mann die Zeitung sinken ließ und äußerte: „Sag mal, wie stark schmutzen diese Leute eigentlich, dass sie so lange saugen müssen?“ Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern vertiefte sich wieder in seine Lektüre und endlich verstummte das Staubsaugergeräusch.

Aber wir sollten offenbar nicht zur Ruhe kommen. Denn nun hämmerte irgendwer. Zumindest erklang das altbekannte „Tock-tock-tock… tock-tock“.

„Himmelherrgottnochmal, ihr Behämmerten ertragt Ruhe nicht, oder?“ Der Mann, der gerade erst wieder zu Bett gekommen war, sprang auf und raufte seine Haare. Seine Explosion war vermutlich zu viel für meine Nerven, das letzte bisschen, dass mich nun die Kontrolle verlieren ließ. Ich weiß es nicht. Jedenfalls begann ich zu kichern. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Um den Mann nicht noch mehr in Rage zu bringen, drückte ich mein Gesicht ins Kissen, zog mir die Decke über den Kopf und lachte und lachte. Es war nicht besonders solidarisch, aber meine Beherrschung war dahin. Als ich mich schließlich wieder im Griff hatte und unter der Decke hervorkam, war der Mann verschwunden. Alarmiert stieg auch ich aus dem Bett und begab mich auf die Suche. Noch immer hämmerte es: „Tock-tock-tock… tock-“

In das Klopfen mischte sich metallisches Scheppern, übertönte es. Das Scheppern und Klirren war deutlich lauter und hallte außerdem erkennbar. Es klang, als spielte Pumuckl im Treppenhaus Schlagzeug. Misstrauisch, und noch immer auf der Suche nach dem Mann, ging ich zur Wohnungstür. Sie stand offen. Auf den Stufen nach oben stand mein Gefährte langer Nächte und müder Tage, rührte und klopfte auf einer seltsam aussehenden Konstruktion meiner Kochtöpfe wie auf einem ganzen Orchester und sah aus, als hätte er einen Mordsspaß. Im dunklen Flur lärmte es ohrenbetäubend.

Ich hörte unseren älteren Nachbarn im Erdgeschoss zu seiner Frau sagen: "Jaja, das kommt von hier, glaub ich. Das Haus ist auch nicht mehr, was es mal war."

Fassungslos verfolgte ich das Schauspiel einen Moment. Dann ging das Licht im Treppenhaus an und ich hörte unseren älteren Nachbarn aus dem Erdgeschoss zu seiner Frau sagen: „Jaja, das kommt irgendwo von hier, glaub ich. Das Haus ist auch nicht mehr, was es mal war.“ Unten wurde die Tür wieder geschlossen, mein Mann, der beim Geräusch der Stimme zu scheppern aufgehört hatte, stieg mit bebenden Schultern und dem Blick eines Lausbengels die paar Stufen herab und kam zurück in die Wohnung.

Als auch ich wieder abgeschlossenen hatte, brachen wir beide in Gelächter aus. Wir lehnten an der Flurwand, hielten uns die Bäuche und lachten. Uns war egal, wer uns hörte, in diesem lauten Haus schien der Lärm ja inzwischen zum guten Ton zu gehören. Schließlich keuchte der Mann: „Also diese Dinner-Party da war ja nix Dolles, aber das grad, das hat den ganzen Abend gerettet!“ Und dann griff er plötzlich nach meinem Arm, rüttelte daran und fluchte: „Verdammt, was ist denn jetzt los? Endlich sind die Deppen hier im Haus ruhig und dafür hast du schon wieder einen Lachkoller?“

Verwirrt starrte ich ihn an, im Licht der Nachttischlampe starrte er verschlafen zurück. Da verstand ich: Offenbar war ich während meines ersten Lachanfalls eingeschlafen und hatte seinen Ausflug in den Hausflur bloß geträumt. Bei der Erinnerung daran fing ich wieder zu kichern an. „Ach, schau nicht so bös’“, brachte ich hervor. „Ich wünschte, du hättest meinen Traum gehabt. Es wäre zu schön, das wirklich zu machen.“

 
 
 

2 Kommentare


iperez
iperez
02. Juni 2022

Liebe Frau Schneider, mit viel Vergnügen lese ich Ihre Geschichten. Das Zwischenmenschliche steht bei Ihnen im Vordergrund. Ein bisschen Sarkasmus ist auch immer dabei - Super.


Vielleich wollen Sie auch mal was von unserem kleinen Autorinnenkreis lesen oder besser hören.


Schauen Sie gern mal hier rein: https://youtube.com/channel/UCYVeULM2GFDuXdnvE-vsEQw


Freundliche Grüße


Irina Lövenich

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Bérénice Schneider
Bérénice Schneider
02. Juni 2022
Antwort an

Liebe Frau Lövenich,


herzlichen Dank für Ihr freundliches Feedback. Schön, dass Ihnen meine Arbeit gefällt!


Ich habe mir eben Ihre Geschichte von der Rose angehört – vielen Dank, dass Sie mich darauf aufmerksam machten. Ein bezaubernder Text und welch wunderbarer Traum! Die Videos Ihrer Kolleginnen spare ich mir für heute Abend auf :)


Herzliche Grüße an die See

Bérénice Schneider

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